Der Alltag und die Kunst

Ich glaube, dass Sie, die Betrachter dieser Kunstwerke von Nina Ahlers und Ulrike Münchhoff hier im Raum mir in einem spontan zustimmen können: meinem ersten unmittelbaren Eindruck „Wie ist das alles so schön bunt hier!“ Diese Ausstellung ist ungewöhnlich farbenfroh! Ist sie so farbenfroh wie das Leben? Oder ist diese intensive Farbigkeit zumindestens a u c h das Ergebnis dessen, was die Redewendung auf den Punkt bringt: „Jetzt wird`s mir aber zu bunt!“ Die Steigerung der farbenfrohen Vielfalt des Lebens sozusagen nicht allein als seine Nachahmung, sondern auch als Ausdruck ein der Kunst, dieser Kunst hier, inhärentem ästhetischen Widerstands. Diesen Gedanken möchte ich als Auftaktreflexion an den Anfang meiner Rede stellen. Denn die Klammer, die diese Werke von Nina Ahlers und Ulrike Münchhoff offensichtlich verbindet, ist mit zwei Begriffen umrissen: der ALLTAG und die KUNST.

Doch auch in der Form, in der Art w i e Ihre Darstellung verfährt, sind sie sich ähnlich: deutlich wieder erkennbar in beiden Werkkomplexen sind Dinge des Alltags – aus dem Schulalltag bei Ahlers, aus dem Küchenalltag und dem Alltag der Bekleidung bei Münchhoff. Bei beiden Künstlerinnen spielt also die Nachahmung der Wirklichkeit eine Rolle. Doch so w i e diese Alltagsdinge gestaltet sind – in ihrer überdimensionierten Größe bei Ahlers, als tanzende Kücheninstrumente, als schwebende herrenlose Kleidung bei Münchhoff - unterliegen sie einer Überformung, einer Übersteigerung, einer Verfremdung. Und: beide Künstlerinnen brechen die künstlerische Darstellung durch den immanenten, in die Bilder, in die Objekte einbezogenen Hinweis auf die Kunst: bei Ahlers in Worten - „Museum“ - und in den Gegenständen - Farbkästchen aus dem Schülermalkasten -, bei Münchhoff durch die Malerpalette. Diesen beiden Beobachtungen: dem verbindendem THEMA: der ALLTAG und die KUNST und als formales Prinzip: die übersteigerte VERFREMDUNG werde ich bei der Einzelbetrachtung der Werke nachgehen.

 

Die ausgestellten Werke von Nina Ahlers sind alle auf dem neuesten Stand ihres künstlerischen Arbeitens: sie sind – bis auf eine Ausnahme – aus diesem Jahr 2016. Die Ausnahme: die extrem vergrößerten Farbkästchen aus dem Schulmalkasten, Ahlers nennt sie „Farbkissen“, hat sie bereits 2013 begonnen. Allen Arbeiten ist – ich erinnere ans genannte, übergeordnete Thema – ihr Alltagscharakter gemeinsam: wir sehen wie gesagt Gegenstände aus dem Schulalltag: Farbkissen, Radiergummis und wir sehen ebenfalls vergößerte Scrabble-Steine in der Arbeit „Rätsel“. Der Titel ist doppeldeutig: gilt er doch weniger für die Skulptur als eher für das Faktum, das die Skulptur bezeichnet. Die Scrabble-Figuration selbst ist nicht eigentlich rätzselhaft: mit Quote kann nichts anderes als die Frauenquote im Museum gemeint sein. Die aber wird seit Jahren beschworen, so dass einzig das Wort „JETZT“ ein Rätsel aufgibt, das allerdings das Kunstwerk auf das gesellschaftliche Faktum hin übersteigt in der Frage: Warum muss diese Quote eben „JETZT“ noch gefordert werden, wo sie doch seit Jahrzehnten als Forderung auf dem Tisch des „MUSEUMS“ liegt?!

Mit einer ähnlichen Doppeldeutigkeit arbeitet auch die Installation „Lage“. Äußerlich, genauer gesagt in der Anmutung ihrer Materialität und Form, an eine wiederum vergrößerte Fußmatte – Stichwort „Alltag“ – erinnernd, ist doch diese vermeintliche Fußmatte nicht nur in ihrer „Kostbarkeit“ konnotierenden Farbigkeit, sondern auch durch die aufwendige Art ihrer „Museumsumrahmung“ ein Unding deshalb, weil solcherart ihre Bedeutungsvektoren diametral entgegengesetzt sind und auseinander driften. Ist das die Lage der Kunst?: Eine äußerst kostbar gestaltete Fußmatte und mithin eine Art besonderer Grund, auf dem wir stehen, den wir beim ÜBERGANG in eine Wohnung, einen Innenraum benutzen u n d zugleich ein äußerst schutzbedürftiger Rum, der eigentlich – die Abgrenzung läuft rundum – gar nicht oder jedenfalls nicht ohne weiteres betreten werden kann und darf?! So verstanden macht der Doppelsinn durchaus Sinn: die LAGE der Kunst als besonderer Grund, auf dem wir alle stehen oder auf den wir zumindestens angewiesen sind und die Kunst zugleich als „Übergangsraum“, der nicht ohne weiteres betreten werden kann im Sinne der schöpferischen Gestaltungsprozesse, die in ihm stattfinden und für die es Voraussetzungen braucht. So wie in den bisher betrachteten Arbeiten „Rätsel“ und „Lage“ – beide beziehen sich zusätzlich auf die Kunst – ist der DOPPELSINN aber zugleich eine Art „roter Faden“, ein Charakteristikum aller zu sehender Arbeiten von Ahlers. Die 24 Farbkissen des Schulmalkastens erinnern in ihrer Übergröße vor allem dann, wenn sie schräg gestellt werden, an Sonnenkollektoren und rufen mit dieser Assoziation die Erinnerung an den Ursprung der Farbe aus dem Licht auf. Die beiden Radiergummis negieren nicht nur durch ihre Übergröße ihren Gebrauch und ihre Funktion, sondern besonders das zerbrochene karikiert das Bauhausmotto – hier als Untertitel verwandt: „Form follows function.“ auf die Frage hin, wie Kunst im Schulunterricht überhaupt gelehrt werden kann, zumal unter dem Titel der „Funktion“. Zuletzt der Radiergummidackel, der die letzte Frage auf die Spitze treibt: er ist mehr als ein doppelsinniges Unding, er ist ein Kunstding, das die Funktion komplett aushebelt: ein Funktions-Surrealismus! Dieser Doppelsinn – im Radiergummidackel zum witzig surrealen Unsinn gesteigert – durchzieht das hier ausgestellte Werk von Nina Ahlers. Doch darüber hinaus sitzt dieser Doppelsinn auch als eine Art Teufel schon im Detail ihrer Technik, ihres Herstellungsprozesses: Denn ganz im Gegensatz zur explosiven Sprengkraft ihrer entgegen gesetzten Bedeutungsvektoren – wie eben bei „Lage“– ist der technische Prozess ihrer Herstellung eine langwierige Geduldsarbeit: Fädchen für Fädchen wird hier auf der Grundform aus Styrophor die „Märchenwolle“ mit einer Spezialnadel im Untergrund verankert: „trockenfilzen“ heißt der Fachausdruck. Ein Arbeitsvorgang, der an die längst vergessene und untergegangene weibliche Handarbeite einer Klöpplerin erinnert. Auf diese Weise steigert sich der rote Faden „Doppelsinn“ in den hier präsentierten Kunstwerken von Nina.Ahlers: neben dem großen Thema KUNST und ALLTAG, neben der Überformung und Verfremdung als expressives Mittel der Kunst haben wir zusätzlich den DOPPELSINN als Sprengteufelchen in der Entgegensetzung zwischen dem geduldfordernden, langwierigen Herstellungsprozess und der explosiven Aussage der Kunst von Nina Ahlers: als letztes, übergreifendes, rotes Fädchen.

Frauke Tomczak
Eröffnungsrede zur Ausstellung von Nina Ahlers und Ulrike Münchhoff in Kaarst